Präzisierung der Rechtsprechung zum „Blindentestament“

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Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat in einer aktuellen Entscheidung präzisiert, dass zur Erfüllung der Formvorschrift für ein „Blindentestament“ die bloße Möglichkeit zur Einsichtnahme nicht ausreicht. Die Erblasserin war stark sehbehindert und musste daher bei der Erstellung ihrer letztwilligen Verfügung die besonderen Formvorschriften des § 581 ABGB aF (nun § 580 Abs 2 ABGB) beachten.

Im konkreten Fall wurde das Testament von einer Zeugin vorgelesen, während die anderen beiden Zeuginnen es nicht gelesen oder überprüft hatten. Die Vorinstanzen erklärten das Testament für unwirksam, da die Zeugen nicht den Inhalt eingesehen hatten.

Der OGH bestätigte diese Entscheidung und stellte klar, dass nach den gesetzlichen Vorgaben die Zeugen nicht nur die Möglichkeit zur Einsichtnahme haben müssen, sondern auch eine Überprüfung des Inhalts vornehmen sollten. Eine bloße Kontrolle reicht nicht; es muss zumindest ein sinnerfassender Abgleich der wesentlichen Punkte, insbesondere der Erbeinsetzung, erfolgen.

Da im vorliegenden Fall keine Kontrolle des Inhalts stattfand, war das Testament formungültig. Diese Entscheidung unterstreicht die Wichtigkeit der Einhaltung der Formvorschriften, insbesondere in Fällen, in denen der Erblasser nicht selbst lesen kann.

OGH | 2 Ob 48/22f | 30.05.2022 | Urteile und Beschlüsse des OGH